Über uns

Mein Heimatort der " Schafhof " zu Lützenhardt

Das ist die Geschichte von dem „etwas anderen“ Dorf, das sich vom Einzelhof („Schafhof“), und der ersten Ansiedlung im Jahre 1750 – ‚einer Kolonie von Bürsten- und Besenbindern, fahrendem Volk, Korbflechtern, Zunder- und Feuersteinhändlern‘ -, in einem zweihundert Jahre langem ‚verzweifeltem Existenzkampf‘, zur Fremdenverkehrsgemeinde, und zu einem lebens- und liebenswertem Erholungsort für zahllose Kurgäste, und eine beneidenswerte Heimat für ihre Bürger entwickelt hat.

Die Anfänge

Der Name Lützenhardt wird erstmals im Klosterreichenbacher Schenkungsbuch erwähnt. Damals bestand der Ort lediglich aus einem im 7. Jahrhundert gegründeten Hof, dessen Besitzer Lutz von ‚Luitzenhardt‘ war. Im Jahre 1320 erscheint Lützenhardt in einer Urkunde wiederum, aber nun nicht mehr als ein Familienname, sondern als Ortsname. Da heißt es, dass ein Herr Marquard aus Horb dem Kloster Alpirsbach zwei Wiesen in Lützenhardt und ein Gut in Tumlingen übertragen habe. Um 1338 gehörte der Schafhof dem Kloster Bebenhausen.

Dieses Kloster Bebenhausen war um 1187 vom damaligen Pfalzgrafen von Tübingen ,Rudolf 1, gegründet worden. In der Folgezeit wurde es von den Pfalzgrafen, zu deren Herrschaftsbereich auch das Waldachtal, Dornstetten, Pfalzgrafenweiler und Altensteig gehörten, immer wieder mit Gütern beschenkt, so auch irgendwann einmal mit dem Schafhof zu Lützenhardt. Das Kloster besaß außerdem um 1340 in Lützenhardt außer dem Hof auch noch die zugehörigen Gülten (Steuern) und sonstigen Einkünfte.

Als die Pfalzgrafen von Tübingen mehr und mehr an politischer Macht verloren, verkauften sie Stück um Stück ihres verschuldeten Besitzes, das meiste davon an das Haus Wirtemberg. 1293 hatten sie unter anderem auch ihr Gebiet um Horb an die Grafen von Hohenberg verkauft. Damit hatte dieses Grafengeschlecht die Oberherrschaft auch über Salzstetten und Lützenhardt sowie die Lehensoberhoheit über das Gut zu Lützenhardt erworben.

Grafschaft Hohenberg 1293 – 1381

Die Hohenberger sollten ihre Grafschaft Hohenberg allerdings nur 88 Jahre lang behalten. 1273 war der schwäbische Herzog Rudolf von Habsburg von den Fürsten des Reiches zum König gewählt worden. Diese neue Stellung hätte er gerne dazu genutzt, um die Könisgewalt zu stärken und um seine Hausmacht zu vergrößern. Dazu bot sich ihm der Herzogstuhl in Schwaben an, der seit dem Fall der Staufer um 1268 noch immer unbesetzt war. Allerdings fühlte er sich nicht stark genug, dies auf einmal und ohne Kampf zu erreichen, deshalb ging er daran, nach und nach zwischen Vorarlberg und dem Oberrhein eine größere Zahl von verstreut liegenden Besitztümern zu erwerben mit dem Ziel, daraus einmal ein großes zusammenhängendes Herrschaftsgebiet zu machen. Dieses Ziel haben jedoch weder er noch seine Nachkommen erreicht.

Vorderösterreich

Das ersehnte „Vorderösterreich“ blieb immer Stückwerk, bis es 1805 auf Befehl Napoleons teils dem neu errichteten Königreich Württemberg, teils dem ebenfalls neu geschaffenen Großherzogtum Baden zugeschlagen wurde. Im Zuge dieser schrittweisen Besitzerwerbungen des Hauses Österreich wurde 1381 auch die Grafschaft Hohenberg österreichisch, und damit auch Lützenhardt im Waldachtal. Zusammen mit Salzstetten gehörte es zum Obervogteiamt in Horb, Sitz der „Oberherrlichkeit“ war Innsbruck. Dort wurden bis 1805 auch für die verschiedenen Lehensherren des Hofes zu Lützenhardt die Verleihungsurkunden ausgestellt und mit dem kaiserlichen Siegel ausgestattet.

Während Lützenhardt 424 Jahre lang österreichisch war, wurden die Nachbarorte nach und nach wirtembergisch: Pfalzgrafenweiler 1421, Hörschweiler 1511, Cresbach, Vesperweiler, Ober- und Unterwaldach, Vörbach und Tumlingen 1625. Dornstetten hatte das Haus Wirtemberg bereits 1320 erworben. So stellte Lützenhardt mit seiner kleinen Gemarkung einen winzigen Gebietszipfel am äußersten westlichen Ende der vorderösterreichischen Grafschaft Oberhohenberg dar, rings umgeben von wirtembergischen Orten.

Was wir aus der langen Geschichte des Hofes zu Lützenhardt bis ins 18. Jahrhundert hinein erfahren, gibt uns nicht viel mehr als Auskunft über die verschiedenen „Oberherrlichkeiten“, also die Lehensherren, denen er unterstellt war, die den Hof gekauft, besessen und wieder verkauft oder vom Hause Österreich eine Zeitlang zu Lehen erhalten haben. Von den eigentlichen Bewohnern, den „Maiern“, d.h. den Verwaltern, den Knechten und Mägden oder irgendwelchen Taglöhnerfamilien erfahren wir nichts. Keiner der Grundherren hat selbst dort gewohnt. Sie besaßen fast durchweg mehrere Höfe und Dörfer gleichzeitig, von deren Erträgen sie lebten. Das ursprüngliche Geschlecht der Lutz zu Lützenhardt hat es übrigens noch bis ins 17. Jahrhundert gegeben. Der Letzte seines Geschlechts, Christoph Lutz zu Lützenhardt, war Stadtschreiber in Rottenburg und hat 1609 eine Rottenburg Chronik verfasst.

Bauerntum im Mittelalter

Während der mehr als vierhundert Jahre, in denen der „Hof zu Lützenhardt“ unter österreichischer Lehenshoheit stand, hat er mit Sicherheit elfmal den Besitzer gewechselt, wahrscheinlich aber noch öfter. 1389 erhielt ihn Hans von Steinhilben zu Lehen. Dieser hat ihn dann 1427 für 130 Gulden an das Spital zu Horb verkauft, das bereits eine Hälfte von Salzstetten besaß. 1429 hat der Spitalpfleger von Horb beurkundet, dass dem Horber Spital vom Kloster Bebenhausen 130 Gulden für den Hof zu Lützenhardt erstattet wurden. Wie lange diesmal der Hof‘ im Besitz des Klosters Bebenhausen verblieben ist, wissen wir nicht, es ist nur bekannt, dass er um die Mitte des 15. Jahrhunderts der Familie von Emertshofen gehört hat, bis ihn Ludwig von Emershofen verkaufte, und dass dieser den Hof 1476 von der Herzogin Mathilde von Österreich zu Lehen empfangen hat.

Um diese Zeit erscheint in den Urkunden ein Michael Schütz, Altschultheiß von Horb, als Käufer oder Verkäufer von Liegenschaften an verschiedenen Orten. 1470 hatte er bereits ein Gut in Salzstetten dem bereits genannten Ludwig von Emertshofen abgekauft, und 1481 erhielt er vom Hause Österreich den Hof zu Lützenhardt zu Lehen, der damals aus einem Wohnhaus, einer Scheuer, einem Schopf und einem kleinen Taglöhnerhaus bestanden hat. Noch im gleichen Jahr hat Michael Schütz auch das Dorf Tumlingen gekauft. Zwei Jahre danach hat er aber sowohl Tumlingen samt der zu Tumlingen gehörenden „Lützenhardter Mühle“ als auch den Hof zu Lützenhardt wieder verkauft an Georg von Ehingen. Vermutlich war es dessen Sohn, der 1483 den Hof zu Lützenhardt daraufhin zu Lehen erhielt. 1500 wurde der Hof Hans von Neuneck aus Cresbach verliehen. Der hatte 1498 auch schon Tumlingen gekauft, das bis 1652 der Familie von Neuneck verblieb, als diese all ihre Liegenschaften in Cresbach, Waldach, Vörbach, Tumlingen und Wörnersberg an den Herzog Johann von Wirtemberg verkaufte. Lützenhardt wurde damals nicht an die Wirtemberger verkauft, vielmehr wurde der Hof zu Lützenhardt 1652 Herrn Hans Eitel von Neuneck „aus ganz besonderer Gnade“ vom Erzherzog von Österreich verliehen. Als nach dessen Tode das Lehen wieder frei wurde, bekam der herzogliche Kammerdiener Martin Krauß den Hof für seine treuen Dienste zu Lehen, danach 1676 Christian Rudolph Krauß, 1677 Dr. Melchior Flieschauer und 1689 Josef Franz Yempauer – alles kaiserliche Beamte in Oberösterreich, die den Hof nie gesehen haben.

Flurkarte von 1680 mit dem damaligen Schafhof

Bleistiftkonzept, z.T. mit Tintenausführung – Wälder (Umrisse mit gekräuselter Linien) – Wiedergabe des Waldachverlaufs und der im Waldachtal liegenden Siedlungen (in Ansicht, jedoch sehr klein) – Herrschaftsverhältnisse gegenüber Hohenzollern durch kleine Wappenschilder angegeben – Heiligenbronn und Ruine Mandelberg jeweils in Ansichten – Gitternetz in Bleistift / einige Flurnamen

Das Dorf 

Die Wandlung des Schafhofs zu Lützenhardt zu einem Dorf bahnt sich an, als im Jahre 1741 Karl Heinrich von Schlaitheim Lehensherr des Hofes wird. Das ist an sich nichts Neues, doch der neue Lehensherr gerät um diese Zeit in finanzielle Schwierigkeiten und muss den Hof 1750 wieder verkaufen. Käufer ist Johann Freiherr von Raßler auf Weitenburg, der auch Grundherr von Bittelbronn, Bieringen, Börstingen und Sulzau ist. Diesem erscheint jedoch offenbar der Hof zu Lützenhardt nicht rentabel, so dass er ihn bald darauf freigibt für die Ansiedlung.

Ansiedlung 1750

Die Beschreibung des Oberamts Horb aus dem Jahre 1865 berichtet darüber mit folgenden knappen Worten: „Die neue Herrschaft begünstigte die Ansiedlung, so dass in rascher Zunahme eine Kolonie von Korbflechtern, Bürsten- und Besenbindern, Zunder- und Feuersteinhändlern usw. anwuchs“. In Folge hiervon und weil der Lehenhof nicht viel abwarf, wurde derselbe 1785 von dem Freiherrn von Raßler an die Einwohner zu gleichen „Theilen vertheilt“ und gegen jährliche bestimmte Abgabe als Erbpacht überlassen.

Zigeuner waren auch dabei, doch bildeten sie in der großen Menge des fahrenden Volkes nur eine kleine Minderheit mit eigener Sprache, eigenem Brauchtum und eigener Tradition. Wohl die bekannteste Familie in Lützenhardt die von Zigeunern abstammte war die Familie von Fidel und Barbara Reinhardt, deren Töchter Sophia („Moadl“) und Beata Reinhardt sich in Lützenhardt niedergelassen sich dort verheiratet, und eine Familie gegründet haben wo noch bis in die heutige Zeit Nachkommen dieses Stammes leben.

Familie Christian u.Sophia (Moadl) Schmid ca.1872
Familienbuch Christian und Sophia Schmid
Mein Familienstammbaum

Es wird ebenfalls erzählt das viele berüchtigte Räuber und Räuberhauptmänner dereinst zeitweise in Lützenhardt beheimatet waren. Der wohl bekannteste Räuberhauptmann war unzweifelhaft Jakob Reinhardt, der „Hannikel“ genannt wurde.

„Überfall“ auf Lützenhardt 1784

Die Nachbargemeinden beobachten die Entwicklung der Dinge in Lützenhardt mit Misstrauen, was durchaus verständlich ist. Als sie erfahren, dass sich 1784 in Lützenhardt ein berüchtigter und „ausgeschriebener“ Jauner, der „Keßler-Sepp“, aufhält, wittern sie Gefahr für ihre Sicherheit und melden es dem wirtembergischen Vogt in Dornstetten, dessen höherer Gerichtsbarkeit auch Lützenhardt untersteht, obwohl es vorderösterreichisch ist.

Daraufhin rückt eine sogenannte Streifenmannschaft aus nach Lützenhardt und nimmt den „Keßler-Sepp“ fest. Als diese Truppe dann aber auch noch in andere Häuser eindringt und nach weiteren „Jaunern“ sucht, protestieren die Lützenhardter und melden diesen „Überfall“ ihrem Lehensherrn. Derartige Aktionen sind später nicht wieder unternommen worden.

Das 19. Jahrhundert

Königreich Württemberg 1806

1806 wird Wirtemberg zum Königreich gemacht und in „Württemberg“ umbenannt. 1807 werden die Oberämter gebildet, und Lützenhardt gehört von da ab zum Oberamt Horb, während die übrigen Gemeinden im oberen Waldachtal dem Oberamt Freudenstadt zugeteilt werden. Lützenhardt bleibt also im Waldachtal nach wie vor ein Sonderfall. Es ist nun zwar nicht mehr der österreichischen Oberherrlichkeit unterworfen, sondern der des Königs von Württemberg, doch seine Einwohner sind bis auf Weiteres immer noch Leibeigene ihres damaligen Lehensherren v. Raßler, der noch 1791 von Kaiser Leopold mit dem Hof zu Lützenhardt belehnt wurde.

Heiligenbronn

1820 war Lützenhardt, dessen Einwohner fast ausschließlich katholisch sind, nach Heiligenbronn eingepfarrt worden. Heiligenbronn war ursprünglich ein Wallfahrtsort mit einer kleinen Kapelle gewesen, an deren Stelle man 1747 eine Wallfahrtskirche gebaut hatte. Neben der Kirche stand ein Wirtshaus mit einer kleinen Brauerei. 1820 wurde die dortige Kaplanei in eine Pfarrei umgewandelt. Bekannt ist der Ort, der 1356 erstmals urkundlich erwähnt wurde, für seine Wallfahrtskirche und ehemalige Klosterkirche „Zur Schmerzhaften Mutter Gottes“. Der Ortsname Heiligenbronn stammt vom „Heiligen Bronnen“, einer Quelle direkt neben der Kirche.

Eine sehr schöne Flurkarte der Gemarkung des – Lehenguts Lützenhardt aus dem Jahre 1821 – gibt uns Aufschluss über die damals bestehenden Gebäude und Wege und über die Einteilung der Flur. Das Dorf bestand aus zwei Häusergruppen. Die eine – wohl ältere – reihte sich beiderseits eines Weges etwa im Zuge der heutigen Maierhofstraße auf. Sie bestand aus 36 ganz verschieden großen Wohngebäuden teils mit, teils ohne Wirtschaftsteil, und einigen freistehenden Schultern oder kleineren Schuppen. Das größte Haus war der alte Maierhof, dessen Sockelgeschoß noch heute an einem Mauerwerk und der Rundbogentür erkennbar ist. Die andere Häusergruppe war die beiderseits des Postbergs am Hang unterhalb der heutigen Kirche mit 10 Wohngebäuden ebenfalls ganz unterschiedlicher Größe und einigen Nebengebäuden Westlich des Weges entlang der Waldach, der heutigen Hauptstraße stand am Eck zum Wege nach Heiligenbronn ein größeres Haus mit Wohnteil, Stall und Scheuer. Insgesamt waren das 47 Wohnhäuser. Auf ein zu Tumlingen gehörenden Gemarkungsteil „Lützenhardter Mühle“ der die Lützenhardter Gemarkung praktisch in zwei Teile trennte, stand nur die Mühle und eine Scheuer. Die Grenzen der damaligen Gemarkung verliefen ostwärts der Waldach ähnlich wie noch in jüngster Zeit. Quer zur Waldach hielt sich die Grenze an den Weg, der damals durchgehend Hörschweiler, Lützenhardt und Heiligenbronn im Zuge der heutigen Waldach- und Friedhofstraße miteinander verband. Im Westen des Dorfes war die Grenze ähnlich wie heute, vom Breitenbachtal aus nordwärts verlief sie jedoch entlang des heutigen Hohlweges bis dorthin, wo heute das Wasserreservoir liegt, und von dort aus ostwärts bis zur heutigen Kirchbergstraße. Die Äcker westlich davon bis zum Waldrand waren in der Karte bezeichnet als „Tumlinger- Äcker“. Die heutigen Cresbacher- Satteläcker waren mit Ausnahme einer rechteckig begrenzten „Reute“ – d.h. Rodungsflache – damals noch bewaldet, und ebenso das Streitwäldle.

Links: Flurkarte von 1821
Eine Flurkarte der Gemarkung, des Lehensguts Lützenhardt aus dem Jahre 1821. Das größte Haus war der alte Maierhof ‚Schafhof‘. Insgesamt waren das 47 Wohnhäuser.

Rechts: Flurkarte von 1881
Die erste Württembergische amtliche Flurkarte von Lützenhardt, aufgenommen im Zuge der ersten Landvermessung des Königreichs Württemberg, stammt von 1829. Inzwischen waren es 64 Wohnhäuser geworden, und eine Einwohnerzahl von 300 bis 350.

Hungerjahre

Die Jahre von 1851 bis 1855 sind für die Gemeinden im Waldachtal ausgesprochene Hungerjahre. In Lützenhardt ist die Not so groß, dass 1854 an die Schulkinder und an alte und gebrechliche Bürger Suppe ausgeteilt werden muss, und dass ein Jahr später die Gemeinde unter staatliche Fürsorge und Aufsicht gestellt wird. Die Beschreibung des Oberamts Horb berichtet noch 1865 darüber:“Minderbemittelt, teilweise unbemittelt sind die Einwohner der Orte Börstingen, Felldorf, Ihlingen, Isenburg, Lützenhardt, Mühlen, Salzstetten und Sulzau.

Hauptnahrung der minderbemittelten Klasse sind hauptsächlich Kartoffeln, Habermus, Kraut, Mehlspeisen …….

Vermutlich aus diesen Hungerjahren stammt die heute noch lebendige Überlieferung, dass in einzelnen Gemeinden, wie beispielsweise auch in Lützenhardt, regelmäßig Hunde und Katzen geschlachtet und verzehrt worden seien. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Menschen damals nicht nur in einzelnen Gemeinden, sondern in sehr vielen Orten der damals stark übervölkerten Realteilungsgebiete Südwestdeutschlands dazu gezwungen waren, wenn sie nicht verhungern wollten.

Landwirtschaft

Familien, die ausschließlich von der Landwirtschaft leben, gibt es zu dieser Zeit schon nicht mehr in Lützenhardt, Landwirtschaft wird allenfalls in ganz bescheidenem Ausmaß nebenher betrieben. Diesen Nebenerwerbslandwirten sagt die Oberamtsbeschreibung jedoch nach, dass sie „fleißig und betriebsam sind, so dass die im ganzen unbedeutende Landwirtschaft, so weit es die Verhältnisse erlauben, gut betrieben wird und dass die Felder teils von auswärtigen Fuhrleuten gepflügt, teils mit der Hacke bearbeitet werden. Gesät wird vor allem Dinkel, Gerste, Hafer und Weizen, außerdem werden Kartoffeln, Futterkräuter, Kraut Lind Kohlrabi angebaut, aber alles nur für den eigenen Bedarf, nicht für den Verkauf‘. Obst gibt es wegen des rauhen Klimas so gut wie gar nicht. „Der Rindviehbestand ist gering, nur ganz wenige Bürger ziehen Jungvieh nach. Schweine werden nicht aufgezogen, allenfalls werden Ferkel gekauft und für den eigenen Bedarf gemästet, Ziegen werden der Milch wegen gehalten. Nur Geflügel, vor allem Enten und Gänse, wird in ziemlicher Menge aufgezogen und in der Nachbarschaft verkauft.“

Bürstenbinder und Hausierhandel

Das Bürstenmachen und der Hausierhandel war für diejenigen, die zu wenig Land haben, um davon leben zu können, noch unter den gegebenen Umständen die günstigste Existenzgrundlage. Im Oberamtsbezirk Horb gibt es um 1865 laut Oberamtsbeschreibung 49 Bürstenbinder mit 22 Gehilfen sowie 16 Korbmacher mit 3 Gehilfen. Man wird wohl annehmen müssen, dass die genannten Bürstenbinder diejenigen von Lützenhardt sind.

Um 1865 ist das Bürstenbinderhandwerk bereits ziemlich angewachsen und damit auch der Hausierhandel, während der Anteil der sonstigen Handwerke laufend zurückgeht. Die Bürstenbinder verbessern im Wettbewerb untereinander ihre Herstellungsmethoden. Um die Arbeit zu erleichtern, werden im Dorf eine Bohrmaschine und ein Drehstuhl aufgestellt, die für eine geringe Gebühr benutzt werden können.

Die meisten der Hausierer besitzen einen kleinen vierrädrigen Karren, den sie mit einem Notbett, dem nötigsten Geschirr und mit der Verkaufsware beladen und dann zu zweit miteinander ziehen. Sie sind in der Regel den ganzen Sommer über auf der Reise und kommen auf den Winter zurück, um wieder neue Ware herzustellen. Im Winter verkaufen sie nur auf kürzeren Tagestouren. Die großen Reisen gehen ins ganze damalige „Inland“ Württemberg, ins badische Nachbarland und nach Hohenzollern. Wenn die Eltern auf der Reise sind, müssen die Kinder bei Nachbarn oder Verwandten in Kost gegeben werden. Nur wenn sie Schulferien haben, dürfen sie mit auf die Reise. So ist der weitaus größere Teil der Lützenhardter regelmäßig wochen- oder monatelang auf der Reise. Einige von ihnen schaffen sich für die weiten Reisen auf den Straßen sogar einen Planwagen an.

Der Brand in Lützenhardt

1876 brennt es in Lützenhardt. Unerwartet jedoch kommen Helfer aus Tumlingen und Hörschweiler trotz aller Vorbehalte gegenüber den so andersartigen Nachbarn, um beim Löschen zu helfen. Das bewegt den Lützenhardter Gemeinderat, im „Grenzer“, der Freudenstädter Heimatzeitung, den beiden Nachbargemeinden den „innigsten Dank“ für die schnelle Hilfe bei der Bekämpfung des Brandes auszudrücken. Dies ist sicher als ein Beweis dafür zu werten, dass das zuweilen gespannte Verhältnis zwischen Lützenhardt und den Nachbargemeinden doch allmählich abgebaut wird, und das nicht zuletzt durch den guten Willen der Lützenhardter und ihres Schultheißen.

Eisenbahn 1879

Eine große Erleichterung für die Hausierer bringt die Eröffnung der Eisenbahn zwischen Eutingen bei Horb und Freudenstadt im Jahre 1879. Seit die erste Eisenbahn 1845 in Württemberg fuhr, war das Netz der Eisenbahner inzwischen so weit ausgebaut worden, dass man jetzt von Horb aus weit ins Land mit der Bahn gelangen kann. Die Lützenhardter brauchen nun keine so weiten Wegstrecken mehr zu Fuß mit einem Karren zurücklegen wie bisher.

Das 20. Jahrhundert

Seitdem das Lehensgut Lützenhardt zur Ansiedlung freigegeben und damit als Dorf gegründet worden war, sind nunmehr 150 Jahre vergangen. Längst sind in den Städten des Landes und auch schon in vielen günstig gelegenen kleineren Gemeinden Industriebetriebe entstanden, die einer großen Zahl von Kleinbauern zwar bescheidene, aber doch ausreichende Erwerbsgrundlagen anbieten. Für die Bewohner des abgelegenen, verkehrsfernen Waldachtals gibt es solche nahegelegenen Arbeitsplätze jedoch nicht. Die Kleinbauern in den Nachbardörfern von Lützenhardt verbleiben also nach wie vor bei ihrer Landwirtschaft und können auch davon leben, ohne Not zu leiden. Die Lützenhardter dagegen können von ihren geringen Iandwirtschaftlichen Nutzflächen nicht leben. Sie sind weiterhin auf die Herstellung handwerklicher Erzeugnisse und deren Verkauf angewiesen. Diese schmale Existenzgrundlage reicht aber nicht aus, sie kommen einfach aus ihrer Armut nicht heraus.

Kirchenneubau 1905

Trotz der finanziellen Notlage der Gemeinde wird es mit der Zeit doch notwendig, für Lützenhardt, das inzwischen auf über 500 Einwohner angewachsen ist, eine eigene Kirche zu bauen. Treibende Kraft dabei ist Pfarrer Knoblauch von Heiligenbronn, der ja auch Pfarrer für Lützenhardt ist. Er hatte seinerzeit zusammen mit Pfarrer Diekmann von Salzstetten die Gastwirtschaft neben der Kirche in Heiligenbronn aufgekauft und 1877 darin ein „Kleinkinderasyl“ eingerichtet, das allerdings schon 1891 wegen zu hoher Schulden wieder aufgegeben werden mußte. 1897 wurde darin in einem Neubau eine Privatschule für Knaben, die „Antiniuspflege“, mit Ordensschwestern als Lehrerinnen eingerichtet. Am 29. Oktober 1903 wird der Grundstein für die neue Kirche in Lützenhardt gelegt, nachdem schon im August mit dem Bau des Pfarrhauses begonnen worden war. 1905 ist der Neubau fertig, am 26. Oktober wird die Kirche von Bischof Dr. v. Keppler aus Rottenburg geweiht, und am 29. Oktober zieht Pfarrer Knoblauch in das neue Pfarrhaus ein. 94745 Mark hat der Bau gekostet, 7000 Mark an Schulden verblieben der Kirchengemeinde.

Pfarrer Knoblauch

Pfarrer Knoblauch muss ein strenger Herr gewesen sein für seine Gemeinde, und oft hat er sich über die besonderen Eigenheiten seiner Lützenhardter, für die er wenig Verständnis aufbringen konnte, bitter beklagt. Doch er hatte auch Humor, von ihm stammt der folgende Reim, der sich auf die in Lützenhardt an fast jedem Wochenende üblichen Schlägereien bezieht:

„Oh Lützenhardt, oh Lützenhardt! Dein Ruf‘ dringt immer weiter
sowohl durch deine Bürsten hart als auch durch deine Streiter!“

22 Jahre lang hat er in Lützenhardt amtiert, bis er im Jahre 1907 nach Oberschwaben versetzt wurde. 1929 ist er in Saulgau gestorben und in Heiligenbronn beerdigt worden.

In den Jahren nach 1900 werden die Schulverhältnisse wieder einmal schwierig. Die zwei Schulsäle reichen für die vielen Schüler einfach nicht mehr aus, ein weiterer Schulsaal wird dringend notwendig, aber woher nehmen? Die Lösung besteht darin, dass für die Gemeindeverwaltung, die ja noch im Schulhaus ihre Räume hat, eine eigene Unterkunft gefunden wird, und zwar in einem der ältesten Häuser von Lützenhardt, einem Wohnhaus an der Ecke der heutigen Hauptstraße und der Maierhofstraße, das von der Gemeinde gekauft und als Rathaus eingerichtet wird, so dass im 2. Obergeschoss des Schulhauses ein dritter Schulsaal ausgebaut werden kann.

Pfarrer Gähr 1910 – 1918

1910 tritt Pfarrer Gähr seinen Dienst in Lützenhardt an. Mehr als seine Vorgänger zeigt er Verständnis für die Charaktereigenschaften der Lützenhardter: “ Bürstenmacherei ist ein staubiges Geschäft, daher das viele Trinken, es hat alles seiner Grund! “ hat er einmal geschrieben. Die Lebensgewohnheiten der Bürstenmacher und- händler schildert er sinngemäß etwa folgendermaßen: „Nach der Heimkehr von der Reise wird so lange nichts gearbeitet, wie das Geld reicht. Fast kein Sonntag vergeht ohne Rauferei, kein Montag ohne Tanz in der „Krone“, in der „Germania“ oder manchmal auch im „Hirsch“. Hierzu ist festzuhalten, dass der Montag in Lützenhardt der Tag war, an dem die meisten Hochzeiten gefeiert wurden, die nahezu regelmäßig mit einer Wirtshaus Schlägerei endeten, manchmal sogar schon am frühen Nachmittag, wobei darin meist das Wirtshaus Mobiliar in Trümmer ging. Das führte oft genug zu den berüchtigten Gewalttaten junger Lützenhardter, von denen manch einer hinterher Jahre lang im Gefängnis sitzen musste, weil er jemanden erstochen oder erschossen hatte. Immer wieder kam es vor, dass der Schultheiß, der im Dorf die richterliche Gewalt innehatte, noch spät in der Nacht einen Missetäter zu Fuß nach Horb ins Amtsgericht abführen musste.

ist dann das auf der letzten Reise verdiente Geld alle, dann wird wieder geliehen, gearbeitet und aufs Neue auf ‚die Reise gegangen‘. Das Fahrgeld muss allerdings vorher beim Wirt in Schopfloch geliehen werden. Bei der Rückkehr geht darin der Weg zuerst wieder ins Wirtshaus in Schopfloch, um das Geliehene zurückzugeben. Vom Amtsrichter in Horb berichtet Pfarrer Gähr, dass dieser 1913 feststellen konnte, dass er schon länger nichts mehr mit Lützenhardtern zu tun gehabt habe. Pfarrer Gähr schreibt dazu: „Wenn’s so weitergeht, wird unsere Gemeinde noch ganz gut werden!“

Elektrisches Licht und Wasserleitung

Einen großen Fortschritt stellt die Einführung des elektrischen Lichts im Jahre 1914 dar. Das dazu notwendige Transformatorenhaus sollte ursprünglich zwischen Pfarrhaus und Kirche gebaut werden, aber dagegen erhebt Pfarrer Gähr mit Recht Einspruch. Daraufhin wird es am Mühlenweg gebaut, wo es heute noch steht. Im gleichen Jahr wird endlich auch eine Wasserleitung ins Dorf gelegt, was vorher Jahre lang immer wieder wegen des Geldmangels aufgeschoben worden war. Eine weitere Erleichterung für die Bürstenhändler schließlich bringt die Einrichtung einer regelmäßigen Autoverbindung zwischen Lützenhardt und Schopfloch durch Franz Schweizer.

In den zwanziger Jahren bringt die Erkenntnis, dass das Bürstenhandwerk und der Hausierhandel mit fortschreitender Industrialisierung bald nicht mehr konkurrenzfähig sein könnten, doch den einen oder anderen der besonders unternehmerisch veranlagten Lützenhardter dazu, sich nach anderen Existenzgrundlagen umzusehen. Aber auch die Gemeinde wird unternehmerisch tätig, um gewerbliche Arbeitsplätze am Ort zu schaffen. Sie baut in eigener Regie an der heutigen Kirchbergstraße ein Fabrikgebäude, das am 25. Oktober 1926 eröffnet wird. Der erste Mieter ist eine Nürtinger Strickwarenfabrik, die etwa 50 Frauen beschäftigt. Doch schon ein Jahr später gerät die Firma in Zahlungsschwierigkeiten, so dass bald wieder ein neuer Mieter gesucht werden muss. Zunächst findet sich aber kein Interessent, und auch der Plan, eine „Vereinigte Bürstenwarenfabrik“ zu gründen, die darin in das Fabrikgebäude einziehen könnte, lässt sich leider nicht verwirklichen, und so bleibt der Bau bis auf Weiteres leer. Anscheinend war damals eine Gemeinde wie Lützenhardt ohne Bahnanschluss für einen Industriebetrieb einfach nicht geeignet.

Zu einer ständigen Sorge der Gemeinde wird das seit 1927 immer noch leerstehende Fabrikgebäude. Als es endlich 1931 gelingt, eine Uracher Firma als Mieter zu gewinnen, stellt sich heraus, dass inzwischen schwere Bauschäden entstanden sind, teils auf Grund mangelhafter Bauausführung, teils wegen des undicht gewordenen Daches und der zu lange trockenliegenden Wasserleitungen. Besonders gelitten haben die Wohnungen innerhalb des Gebäudes. Kostspielige Reparaturen werden notwendig, um den Bau wieder benutzbar zu machen. Kurz nachdem die Firma eingezogen ist, kann sie ihre Miete – 80 Mark monatlich – kaum mehr bezahlen, und schon im Februar 1933 muss sie wegen ihrer finanziellen Schwierigkeiten wieder ausziehen. In Lützenhardt ist man zwar froh, dass man den finanzschwachen Mieter wieder los ist, doch nun geht die Suche nach einem anderen Mieter wieder an.

Der Mangel an gewerblichen Arbeitsplätzen am Ort oder in erreichbarer Nahe lässt trotz alter Bedenken das Bürstenmacherhandwerk und den Hausierhandel immer weiter anwachsen, obwohl dieses Gewerbe immer weniger konkurrenzfähig wird. In Lützenhardt überlegt man sich infolgedessen ernsthaft die Gründung einer Produktionsgenossenschaft „Bürstenindustrie Lützenhardt“ und will einen Staatszuschuss dafür beantragen, doch auch dieser gut ausgedachte Plan wird niemals ausgeführt.

Lützenhardter Bürstenmacher in der Krise

Sorgen um die Zukunft der Bürstenmacher: „Wird Lützenhardt trotz wachsender Industrialisierung der Bürstenherstellung und immer größer werdenden Notlage der handwerklichen Bürstenmacherei und des Hausierhandels auch in Zukunft auf diese harte Weise sein Brot verdienen müssen, oder ist es möglich, eine andere Erwerbsquelle für die Lützenhardter zu finden, vielleicht durch Verlegung irgendeiner Industrie in die seitherige Bürstenmacherzentrale?“

Sorge machen auch die wachsenden Angriffe gegen den Hausierhandel, beispielsweise die scharfe Hetze des „Kampfbundes des gewerblichen Mittelstands“ im Juni 1934.

Aus dieser Bedrängnis heraus erscheint im „Grenzer“ der „Notschrei der Lützenhardter Bürstenhändler“, in dem es unter anderem heißt:

„Dank der Güte seiner handgefertigten Ware konnte sich der Lützenhardter Bürstenmacher gegen die Konkurrenz bis heute durchsetzen. Nachdem aber ganze Dörfer gegen ihn aufgehetzt und eine langjährige Kundschaft gegen ihn verpflichtet wird, ihn völlig zu sabotieren, muss der Daseinskampf des Lützenhardter Bürstenhändlers in kürzester Zeit zur Tragödie werden.“

In der Absicht, die Lützenhardter Bürstenmacher zu zwingen, sich entweder den Forderungen der Handwerkskammern zu beugen – die insbesondere den Hausierhandel bekämpfen – oder die Herstellung und den Verkauf von Bürstenwaren ganz aufzugeben, wird die Bürstenherstellung als Handwerk anerkannt. Das bedeutet, dass jeder, der Bürsten machen will, eine Gesellen- und Meisterprüfung abzulegen hat und auf das Hausieren verzichten muss.

In Lützenhardt erwägt man die Gründung einer Fachschule für Bürstenmacher. Inzwischen ist der Notstand der einseitig auf Bürstenherstellung und Hausierhandel eingestellten Gemeinde auch in der Landesregierung bekannt geworden. Im Wirtschaftsministerium ist man der Meinung, dass zumindest der Hausierhandel als unwirtschaftlich, unrentabel und deshalb als unerwünscht verschwinden müsse. Der Reichsstatthalter, der in der Landesplanungsgemeinschaft Württermberg-Hohenzollern den Vorsitz innehat, ist daran interessiert, dass eine Notstandsgemeinde wie Lützenhardt innerhalb seines Machtbereichs von Staats wegen unterstützt wird. Als sich Franz Schweizer bereit erklärt, die Bürstenbranche auf neuer industrieller Grundlage aufzubauen, wird ihm deshalb staatliche Hilfe zugesagt. Zur Einlösung dieses Versprechens ist es zu dieser Zeit allerdings nicht mehr gekommen.

Auch die finanzielle Lage der Gemeinde bessert sich nicht. Die Ortsstraßen von Lützenhardt waren schon immer in schlechtem Zustand gewesen, doch jetzt, 1938 ist ihr Zustand so schlimm, dass sie das ganze Ortsbild beeinträchtigen. Wollte man sie aber erneuern, dann müssten erst alle Abwässer und Regenwässer vorher auf Kosten der Hauseigentümer verdolt werden, und daran ist überhaupt nicht zu denken. Es geschieht also nichts.

Etwas gelingt jedoch, nämlich nach mehrmaligen vergeblichen Bemühungen wieder einen Mieter für das Fabrikgebäude zu bekommen. Im März 1939 wird ein Mietvertrag mit der Kleiderfabrik Sonnenfroh in Reutlingen abgeschlossen, und bald danach finden dort etwa 50 Frauen einen Arbeitsplatz. Die Monatsmiete beträgt 50 Mark monatlich. Das ist zwar nicht viel, doch die Arbeitsplätze am Ort sind wertvoll.

Der 2. Weltkrieg

Zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert bricht ein Krieg aus, der sich rasend schnell zu einem neuen Weltkrieg ausweitet, während der erste Weltkrieg noch in schlimmster Erinnerung ist. Von Begeisterung wie einst 1914 ist diesmal nichts zu spüren. Wieder wie erst 25 Jahre zuvor werden die wehrfähigen Männer eingezogen, und wieder müssen zahllose Frauen sehen, wie sie allein fertig werden.Schon bald sind 30 Gefallene aus Lützenhardt zu beklagen.

Noch ganz kurz vor Kriegsende sollen alle Jungen von 13 bis 16 Jahren in die Steiermark zur Verteidigung der „Alpenfestung“ abtransportiert werden, doch dies wird durch den Widerstand der Eltern verhindert.

Kriegsende 1945

Im Mai, noch vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, kommt für Lützenhardt das Kriegsende. Die nationalsozialistischen Funktionäre verschwinden, französische Truppen rücken ein. Beim Einmarsch dieser Truppen wird Martha Wittich auf der Straße erschossen, weil sie nicht auf Anruf sofort stehen geblieben ist.

Das Waldachtal ist von der Außenwelt abgeschlossen, denn kein Zug fährt mehr, alle Telefonleitungen sind zerschnitten. Die Bevölkerung wartet von Tag zu Tag ab, was geschieht, man steht ratlos und tatenlos auf den Straßen herum. Bald jedoch packen die Bürstenhändler wieder Ware ein und gehen irgendwie auf die Reise, um Lebensmittel gegen Bürsten einzutauschen. Pfarrer Merkle stellt mit Befriedigung fest, dass die Kirche seit Jahren zum ersten Mal wieder voll ist.

In der Folgezeit bestimmt das französische Militär das öffentliche Leben in ihrer Besatzungszone und in den einzelnen Städten und Gemeinden weitgehend.

In Lützenhardt räumen sie unter anderem die Kleiderfabrik Sonnenfroh aus und verhaften den Betriebsinhaber, erst im Juli 1945 kann der Betrieb wieder anlaufen. Sie fordern auch von jedem Haushalt die Abgabe von 50 Eiern, zwei Pfund Butter, 12 Hühnern, einer Kuh und einem Schwein – in Lützenhardt haben sie allerdings damit nicht viel Glück.

Im Erdgeschoss des Schulhauses richten sie ein Arrestlokal ein, über der Tür steht mit Kreide geschrieben „Hotel tout Comfort“. Ein Arrestlokal brauchen sie, denn sie sind ziemlich nervös, überall vermuten sie Fallen oder Verrat, immer wieder werden Verdächtige eingesperrt.

Im Sommer werden 86 französische Kinder zur Erholung in Lützenhardt untergebracht. Sie werden auf die Gastwirtschaften im Ort verteilt, stehen unter ständigem militärischen Schutz und stellen so für eine Zeitlang eine Art französischer Kolonie im Ort dar.

Als eine Marschkolonne von mehreren Tausend deutschen Kriegsgefangenen durch Lützenhardt marschiert und Sophie Witzelmaier versucht, dem einen oder anderen von ihnen Essen zuzustecken, wird sie kurzer Hand von französischen Soldaten erschossen.

Allmählich jedoch beginnen sich die Verhältnisse etwas zu bessern. Im Oktober 1945 wird der Schulunterricht wieder erlaubt, allerdings nicht der Geschichtsunterricht, der bleibt noch eine ganze Weile verboten. Auch die Krankenschwestern dürfen wieder im Ort arbeiten. Die Straßenbeleuchtung wird wieder instand gesetzt. Ausgehzeit ist von 6 bis 24 Uhr. Die Post arbeitet wieder, wenn auch mit vielerlei Einschränkungen, und zwischen Dornstetten und Eutingen fahren die ersten Eisenbahnzüge. Zwischen Dornstetten und Freudenstadt verkehren sogar 4 Omnibusse am Tag.

Ein Alptraum geht nach und nach zu Ende, aber Lützenhardt beklagt 68 Gefallene und 21 Vermisste Familienväter und Söhne, das ist für so eine kleine Gemeinde wie Lützenhardt ein schwerer Verlust.

Ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg hat auch diesmal wieder ein Verfall der deutschen Geldwährung eingesetzt der dazu führt, dass lebensnotwendige Waren fast nur noch im Tausch gegen ebenso notwendige andere Waren zu bekommen sind. Die Lützenhardter Bürstenhändler sind jetzt in der selten glücklichen Lage, dass sie gegen ihre Bürstenwaren fast alles, was sie für ihren Lebensunterhalt brauchen eintauschen können. Für die Lützenhardter Bürstenhändler herrschte eine Art „Hochkonjunktur“.

Allerdings nur bis zum 21. Juni 1948, dem Tag der Währungsreform, von dem ab jeder wieder mit Geld kaufen kann, was er braucht. Das bedeutet, dass von da ab die Notlage des Bürstenmacherhandwerks wieder die alte ist, nur mit dem Unterschied, dass jetzt mehr als je zuvor, nämlich 90% aller erwerbstätigen Lützenhardter, in der Bürstenbranche beschäftigt sind.

Die 50er Jahre

Die Gemeinde ist nach wie vor ohne Eigenbesitz, so dass beispielsweise der Friedhof nur mit Hilfe einer Haussammlung instand gesetzt werden kann. Dabei werden bauliche Maßnahmen verschiedenster Art immer notwendiger: die Ortsstraßen sind immer noch in miserablem Zustand, 11 Neubauten brauchen Wasseranschluß, die inzwischen entstandene Siedlung „Forchenwald “ benötigt dringend Straßen und Kanalisation, im Schulhaus muss ein viertes Klassenzimmer ausgebaut werden.

Der Gemeinderat beschließt, auf weite Sicht Rücklagen für einen Schulhaus-Neubau anzusammeln und der Oberschulrat beantragt einen Staatsbeitrag dazu. Auch am Neubau eines Kindergartens und einer Krankenpflegestation muss die Gemeinde sich beteiligen.

Zu allem Unglück verlegt die Kleiderfabrik Sonnenfroh ihren ganzen Betrieb nach Frankenthal in der Pfalz, so dass das Fabrikgebäude wieder einmal leer steht und keine Miete mehr einbringt – glücklicherweise nur für zwei Jahre, denn 1952 kommt der Betrieb wieder zurück nach Lützenhardt.

Ein entscheidender Anstoß zur Verbesserung der allgemeinen Verhältnisse in Lützenhardt kommt jedoch von einer ganz anderen Seite her. Theo Dussle, Sohn einer seit über 150 Jahren in Salzstetten und Lützenhardt ansässigen Familie, kehrt aus dem Rheinland zurück ins elterliche Haus, den Gasthof „Hirsch“ in der Maierhofstraße, und baut dort aus kleinen Anfängen heraus schrittweise einen leistungsfähigen Fremdenverkehrsbetrieb auf. Als Hotelfachmann hat er erkannt, dass die reizvolle Lage Lützenhardts auf der Grenze zwischen dem offenen Heckengäu und dem Schwarzwald für Erholungssuchende ideal werden könnte.

Einen weiteren Lichtblick für Lützenhardt und das ganze obere Waldachtal stellt der fortgesetzt wachsende Industriebetrieb von Arthur Fischer in Tumlingen dar, der zunächst etwa 150 Arbeitsplätze anbietet, so dass zu erwarten ist, dass mit der Zeit auch Lützenhardter dort Arbeit finden können.

1954 gelingt es Willi König, einen „Kurverein Waldach“ zu gründen, der die Bemühungen um den weiteren Ausbau des Erholungsverkehrs nach Lützenhardt fördern soll. König, der seinen Beruf als Forstbeamter aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben kann, sieht hier für sich und seine Mitbürger eine lohnende Aufgabe. Allerdings war es ihm nicht vergönnt, den endlichen Erfolg seiner Arbeit noch mitzuerleben. Schon 1956 ist er nach schwerer Krankheit gestorben.

Theo Dussle baut den „Hirsch“ für den Erholungsaufenthalt von 35 Kurgästen aus und bringt außerdem eine ganze Anzahl von Lützenhardter Familien dazu, Fremdenzimmer in ihren Häusern einzurichten, so dass er dort weitere 70 bis 80 Erholungsgäste unterbringen kann, die er dann auch im „Hirsch“ verpflegt.

Franz Schweizer betreibt dazu mit seinem Omnibusunternehmen einen Zubringerdienst zwischen Lützenhardt und Köln, der Gäste von dort abholt und dorthin zurückbringt. Um alle diese privaten Leistungen unterstützen zu können, führt die Gemeinde eine „Kurförderungsabgabe“ ein, die von allen Gewerbebetrieben erhoben wird, die am Fremdenverkehr beteiligt sind.

Der Kurort Lützenhardt

Die Lützenhardter, die es vom Bürstenhandel her immer schon gut verstanden hatten, mit Menschen umzugehen, stellen sich jetzt auf den Umgang mit ihren Kurgästen ein und haben damit Erfolg, denn die Zahl der Übernachtungen steigt von Jahr zu Jahr.

Zwei Neubauten, die eigentlich auf Grund dessen, dass sie ganz aus den in Lützenhardt gegebenen Voraussetzungen heraus geplant wurden, können wegen der zu engen Gemeindegrenzen nur auf Gemarkung Vesperweiler durchgeführt werden, nämlich das „Schwarzwaldsanatorium“ und das Sanatorium Dr. Weiß. Das erstere übernimmt bald nach der Fertigstellung Theo Dussle, baut es weiter aus und führt es als Hotel „Sonnenhof“ weiter.

Am Ende der Fremdenverkehrs-Saison 1957/58 zählt man in Lützenhardt 32000 Übernachtungen, ein großer Teil davon sind solche in Privatzimmern.

Allmählich bessert sich die allgemeine wirtschaftliche und auch soziale Lage der Gemeinde und ihrer Bürger. 1957 gehen schon 127 Lützenhardter als Pendler in auswärtige Betriebe zur Arbeit, haben also ein festes Einkommen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Bürstenmacher und Hausierer ab.

Mit dem allmählichen Wandel der Gemeinde Lützenhardt von der Bürstenmacher- und Hausierergemeinde zum Kurort ändert sich auch das Verhältnis zwischen Lützenhardt und den Nachbargemeinden, das in der Vergangenheit zuweilen etwas gespannt war.

Schon der Bau der gemeinsamen Wasserversorgung Lützenhardt-Dornstetten hatte gezeigt, dass man sehr wohl mit Lützenhardt zusammengehen kann. Lützenhardt als Kur- und Erholungsort konnte sich zunächst allerdings keiner so recht vorstellen.

Nachdem aber die Übernachtungsziffern in Lützenhardt von Jahr zu Jahr höher wurden, nehmen auch die Nachbargemeinden Cresbach und Tumlingen gern an der Anziehungskraft Lützenhardts und damit des Waldachtals teil. Cresbach vor allem deshalb, weil in seinem Teilort Vesperweiler das Hotel „Sonnenhof“ steht und der Gemeinde Cresbach nicht unerhebliche Steuern einbringt, und weil sich dort immer mehr Bürger ansiedeln, die in Lützenhardter Fremdenverkehrsbetrieben beschäftigt sind.

Und die „Orts- und Kirchenchronik Tumlingen-Hörschweiler“ vermeldet, dass Tumlingen im Jahre 1957 ein Luftkurort geworden sei, und dass im „Löwen“, in einer Fremdenpension und in einigen Privathäusern Kurgäste aufgenommen würden.

Gemeinde Waldachtal

1974 schließen sich die Gemeinden Lützenhardt, Tumlingen, Hörschweiler, Cresbach und Salzstetten zur neuen Gemeinde „Waldachtal“ zusammen. Ein Bürgermeister für die Gesamtgemeinde wird gewählt, und für die fünf Teilgemeinden werden ebenso viele Ortsvorsteher gewählt.

Damit ist die zweifellos einmalige Entwicklung der selbständigen Gemeinde Lützenhardt vom Einzelhof über die Tagelöhner-, Bürstenbinder- und Hausierergemeinde zur Fremdenverkehrsgemeinde einstweilen abgeschlossen.

Es war ein zweihundert Jahre langer verzweifelter Existenzkampf der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, der politischen Gemeinde und der Pfarrgemeinde Lützenhardt, die dann doch aus eigener Initiative heraus die Voraussetzungen dafür geschaffen hat für das, was sie heute ist: ein lebens- und liebenswerter Erholungsort für zahllose Kurgäste und eine beneidenswerte Heimat für ihre Bürger.

Wie sich diese verhältnismäßig kleine Gemeinschaft aus bitterster wirtschaftlicher und sozialer Not mit eigener Kraft gegen alle Missgunst, Verleumdung und Vorurteile herausgearbeitet hat, das verdient Bewunderung, und wir können sie deshalb mit Recht eine ganz besondere Gemeinde nennen.

Das Waldachtal ca.1680

Unterwegs in unserem schönen Waldachtal 2020

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Die Bürstenmacher von Lützenhardt

Engelbert Wittich ca. 1920

Etwa zwei Stunden von Freudenstadt entfernt (Gehzeit) liegt das Dorf Lützenhardt in einer kleinen Talsenkung, am Einfluß des Breitenbaches in die muntere Waldach, inmitten schöner fast unübersehbarer Tannenwaldungen. Schwarz und schwer erscheinen deren dunkelgrüne Flächen dem Auge. Freundlich liegen die sauberen Häuser an Strasse und Abhang. Hier möchte ich übrigens sagen, das Lützenhardt von den Einheimischen auch bloß Schafhof oder nur kurzweg „ Hof“ genannt wurde. Noch heutigen Tags pflegen die Lützenhardter häufig zu sagen, z.b. wenn Sie von der Reise nach Hause gehen, wir fahren Heim auf den Hof. Nicht: wir fahren nach Lützenhardt. Oder sehen sie jemand, in denen man Bekannte vermutet, so heißt es gleich. „Sind das nicht auch `Hofemer`“. Wie wir nachher sehen, stammt dieser Name noch von der Gründung des Dörfleins her.

Im Frühjahr, wenn sie ihr kleines Stück Feld bestellt haben, wandern sie partieweise aus und ziehen auf ihre Profession und daneben aufs Betteln in ganz Schwaben und der Schweiz herum. Das Dörfchen steht dann den ganzen Sommer hindurch leer und nur der Meier und ein Anwalt sind beständig anwesend. Zwar kommen einige auch im Sommer zurück, aber nur auf kurze Zeit, und erst im Herbst ist die Zeit des allgemeinen Einwanderns. Wie Bienen zu ihren Körben eilen sie da scharenweise aus der Ferne in ihre Häuser zurück und bleiben den Winter über da. Infolge des raschen anwachsen der Bevölkerung und weil der Lehenshof selbst nicht nicht viel abwarf, wurde derselbe 1783 von dem Baron von Raßler an die Einwohner zu gleichen Teilen verteilt und gegen jährliche bestimmte Abgaben als Erbpacht überlassen. 1805 kam Lützenhardt mit dem ritterschaftlichen Kanton Neckarschwarzwald zu Württemberg. Bei einem so bunt zusammengewürfelten Menschenschlag ist es nicht verwunderlich, das seine Abstammung sehr verschieden ist und das Örtlein noch heute fremdvölkisch anmutet. So sollen welche aus Österreich, dem Elsaß, Preußen, Bayern, von Bremen usw. stammen.Ja, zum Teil leiten einige ihre Ahnen von jenem uralten Blut des fernen Ostens her, das heimatlos nach angestammtem Nomadenbrauch noch heute die Landstrasse bereist. Oft hielt sich der heute noch unvergessene Zigeunerhauptmann „Hannikel“ (Jakob Reinhardt), der auch in dem Kurzschen Roman „Schillers Heimatjahre“ eine Rolle spielt, in Lützenhardt auf. Freilich, der reinrassige Charakter der Lützenhardter Siedler ist längst dahin: die Mischungsverhältnisse haben schon seit lange ein Bevölkerungsbild geschaffen, das bei aller Sonderbarkeit nur selten noch an die ursprüngliche Abkunft und Fremdstämmigkeit erinnert.

Aber der Wandertypus des „Fahrenden“ ist der weltkundige und gewerbefleißige „Hofemer“ geblieben. Die wegen der geschilderten Umstände auf auswärtigen Erwerb Gedrängten, in Treue an ihrer schönen Heimat hängenden Lützenhardter sind das ganze Jahr über bei Wind und Wetter, Schnee und Eis, schwer bepackt unterwegs, durch mühsamen und sauren Handel, aber ehrlich sich ernährend. Männlein und Weiblein oft wochenlang von der Familie getrennt. Die Kleidung des Mannes besteht in einer blauen Bluse, welche über dem Anzug getragen wird. Auf dem Rücken schleppt er die schwere „Krätze“, mit dem Eisenring darauf und darin die angereihten Bürstenwaren. In der Hand die Spießstecken, mit scharfer Eisenspitze bewehrt. Die Frauen dagegen und wer keine Krätze hat, tragen ihre Last, den „ Bürstenring“ oder den „Bürstenriemen“, auf der Schulter. So ziehen die Lützenhardter, immer wacker und munter, auch bei schlechtem Geschäftsgang den Mut nicht sinken lassend, von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf, ja von Land zu Land. Weit über die schwarz-roten Grenzpfähle pflegen sie den Wanderfuß zu setzen, ins Hohenzollerische, nach Baden, Hessen und Bayern. Das Elsaß ja selbst die Schweiz sah und kannte früher der Lützenhardter Bürstenbinder. Die Lützenhardter genossen früher keinen sonderlichen Ruf. Das ist heute vielfach anders geworden. Unter 27 Gemeinden, die in Württemberg Hausierhandel treiben, gilt Lützenhardt heute als der weitaus größte Bürstenindustrieort Süddeutschlands. In dieser Industrie sind von 150 Familien etwa 130 beschäftigt. Von den 800 Einwohnern sind 300 ständig auf dem Hausierhandel. Seit 1904 besitzt die Gemeinde eine eigene Kirche (vorher war Lützenhardt der etwa 10 Minuten entfernten, auf Gemarkung Salzstetten befindlichen Filialkirche Heiligenbronn zugeteilt), elektrisches Licht, Wasserleitung, Kleinkinderschule und viele kleine Häuschen. Und in der Tat, Lützenhardt hat sich sehr zu seinem Vorteil verändert.

Durch rastlose harte Arbeit und zähen Fleiß haben die Bewohner aus der einstigen armseligen Kolonie ein schönes Pfarrdorf gemacht. Der Ort besteht größtenteils aus farbig gestrichenen, zumeist kleinen, aber sauber gehaltenen Häusern mit hübsch hergerichteten Wohnräumen. Da keine Landwirtschaft vorhanden ist, genügen die Häuschen ihren Bewohnern in Größe vollauf. Massig ragen dagegen die Wirtshäuser empor. Der Handelsmann hat auch hier, wie überall nicht unerheblichen Durst! Neuerdings lies die Forstverwaltung 22 Morgen Wald abholzen, von denen auch 30 Parzellen zu 800 Quadratmetern auf 12 Jahre zum jährlichen Pachtpreis von je 12,50 Mark der Gemeinde Lützenhardt überlassen wurde. Überraschend schnell hat sich auch die Vereins- und Sportbewegung entwickelt, zumal der Gesangverein und die Musikkappelle sind durch ihre hervorragenden Leistungen in der nächsten und weiteren Umgebung gut bekannt. Neben Krieger- und Militärverein gibt es noch verschiedene Sportvereinigungen, welche bei sportlichen Wettkämpfen schon namhafte Preise errungen haben. Die rührige Leitung des Schützenvereins kann sich das schöne Resultat buchen, dass 1923 in dem kleinen Schwarzwalddörfchen das Landesschießen abgehalten wurde. Genannt sei noch die Feuerwehr, die sich seit Gründung eines besonders guten Rufes erfreut und im Bezirk als Muster gilt.

Vom Bürstenmachen und Hausieren

Engelbert Wittich ca. 1930

Der Lützenhardter ist das ganze Jahr über schwer bepackt unterwegs, durch mühsamen und sauren Handel, aber ehrlich sich nährend. War irgendwo ein Markt, so konnten die Besucher mit Sicherheit darauf rechnen, das einer oder der andere Lützenhardter seinen Verkaufsstand aufgeschlagen hatte. Jedermann kaufte von den Leuten gern, wusste man doch, dass man nicht „angeschmiert“, sondern gut bedient wurde. Auch waren sie mit jedermann gut Freund, wie heutzutage auch. Die Märkte gingen immer mehr und mehr zurück, so spielen sie für die Lützenhardter keine Rolle mehr. Sie haben das Marktbeziehen aufgesteckt und verlegen sich nur noch auf das Hausieren. In meiner Jugend war es noch Brauch mit dem „Bürstenwägele“ auf die Reise zu gehen, und von einem Ort zum anderen zu fahren. Mit dem beginnenden Frühlingswetter, wenn die ersten Staren sich zeigten, ging`s los. Familienweise mit Kind und Kegel. Unter dem Jubel der Kinder wurde das „Wägele“ gepackt. Lag doch die Schulstube wieder eine geraume Zeit hinter ihnen und der lange Winter, wo so oft Schmalhans Küchenmeister war! Jetzt wurde es kurzweiliger, weil jeder Tag etwas Neues brachte. Von Frühjahr bis Herbst war man ständig auf der Fahrt.

Die Lützenhardter besaßen nach einem Erlaß der württembergischen Regierung die Erlaubnis, ihre schulpflichtigen Kinder von April bis September mitzunehmen. Diese mussten aber auch auf der Wanderschaft zum Schulbesuch angehalten werden. Mit dem „Schulbüchlein“ in der Hand, in das jeder Lehrer den Besuch in seiner Schule zur Kontrolle eintrug, meldeten sich die Kinder in den auf der Reise berührten Dörfern zum Unterricht. Bot diese stete Wanderschaft neben Licht und Luft in reichem Maße auch ein kärgliches Dasein, es war dennoch schön!

Das „Wägele“ war ein kleines vierrädriges Fahrzeug, welches von den Bürstenleuten gezogen werden musste. Der obere Teil war kastenartig aus Brettern hergestellt und mit einer Plane überdeckt. Der Wagen war verhältnismäßig gut und stark gebaut und hielt eine hübsche Reihe von Jahren. Er gewährte aber nur Schutz gegen Regen für die darin untergebrachten Sachen. Der Raum war beschränkt, im Innern waren Bettzeug, Kleider, Wäsche und das Material zur Herstellung der Bürsten verstaut. Schließlich war noch Platz für ein Kind oder im Notfall auch für eine erwachsene Person. Hinten am Fuhrwerk waren zwei Holzkisten angebracht, davon eine, das „Schaffkistle“, das Handwerkzeug enthielt und die andere etwas Koch- und Essgeschirr. Außerdem befand sich hier noch eine Stütze, daran der Bürstenring hing mit den „angefassten“ Bürstenwaren zum hausieren.

Unter dem Gefährt war die primitive, aber praktische Kochvorrichtung aus einem alten Blechhafen, selbst dazu hergerichtet und stolz „Kochmaschine“ geheißen. Größere Wagen mit einem Rösslein davor, nach Art der umherziehenden Komödianten oder der Deufstetter und Matzenbacher Geschirrhändler, waren nicht „Mode“. Ein Bauersmann fragte einmal meinen Vater: „Karle, warum schaffst dir nicht schon lang einen Esel an, der deinen Wagen ziehen kann?“ Worauf meine Mutter schalkhaft meinte, solange sie ihren Mann habe, brauche sie keinen Esel! Auf der „Wägelesfahrt“ kamen die Bürstenbinder in ganz Württemberg herum, zum Teil auch nach Baden und ins Elsaß hinüber. Übernachtet wurde in den alten „Herbergen“, bei guten Landleuten, wo man jedes Jahr vorsprach. („Fehte“ lautete der Ausdruck in der Lützenhardter Händlersprache, dem Jenisch oder Rotwelsch, für ein solches Nachtquartier.) Um eine „Fehte linsen“ (Herberge sehen)- war gewöhnlich ein Geschäft der „Mamere“ (Mutter). Von Stroh und den mitgeführten Betten wurde die Lagerstatt in einer Scheune oder einem Schuppen zurecht gemacht. Manchmal war man auch mit einem Schafstall oder einer Brechhütte zufrieden.

Es ereignete sich wohl auch, dass auf der Reise in einem derartigen „Unterschlupf“ ein neuer Erdenbürger das Licht dieser Welt erblickte. Für die Dorfbewohner war dies ein rechtes Ereignis. Durch die hinzugezogene „Deißlermoß“ (Hebamme) verbreitete sich die Kunde davon alsbald im ganzen Ort. Brave Frauen vom Dorf kamen, nach dem kranken Bürstenweib zu sehen. Manchmal wohl aus Neugierde, viele aber auch, um das fremde Weib zu betreuen; diese brachte ein stärkendes Wein- oder Rahmsüpple, jene etwas Passendes für das Kleine usw. Inzwischen wurde mit der Hebamme eifrig wegen der Taufe beraten, die freilich eine mehr geschäftliche Angelegenheit war. Wohlhabende Bürgersleute wurden wegen den zu erhoffenden Geschenken als Paten gebeten. Bei schönem Wetter, das eine warme Sommernacht versprach, wurde zuweilen auch „Blatt“ gemacht, d.h. man schlug das Nachtlager bei Mutter Grün im Freien, etwa unter einem Baum, auf. Wehe aber, wenn plötzlich ein Gewitter mit Sturm und Regen kam! Alle Romantik war dahin: die Männer schworen (fluchten) , die Weiber kreischten, die Kinder weinten, dazwischen zuckten grelle Blitze hernieder krachte der Donner, tobte der Sturm und goß der Regen in Strömen vom Himmel herab.

Eilfertig und verstört wurde der Lagerplatz geräumt, alles, zumal die Kinder und Betten schnell ins Wägele- mehr geworfen als verpackt, eilends und ungefragt in die nächste Scheune geflüchtet; um sich in Sicherheit zu bringen. In der Finsternis keine andere Beleuchtung als das „elektrische“ Licht vom Gewitter. Sehnsüchtig wurde indes der Tag erwartet und das „Blatt machen“ jedes Mal einstimmig verwunschen. Tagsüber war der Halteplatz in der Regel vor der Ortschaft draußen, um ungestört „schenegle“ (arbeiten) und „sichere“ (abkochen) zu können. Um allzu neugierige, aufdringliche Zuschauer vom Lagerplatz zu verscheuchen, wendete sie immer den folgenden Trick an, der stets die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte. Der Pfiffikus rief so laut, dass es alle hören konnten, während er sich heftig kratzte:“ Seit wir neulich die Zigeuner getroffen haben, beißt es mich am ganzen Leib“. Im Nu hatten sich die lästigen Gaffer dann in eine gehörige Entfernung zurückgezogen. Auf den Sonntag wurde es bisweilen eingerichtet, dass man ein „wohnisches G`fahr“ (katholisches Dorf) erreichte, um auch seinen religiösen Pflichten nachzukommen. Abwechslung gab´s und Fröhlichkeit herrschte, wenn man auf der Reise mit Bekannten, zumal Verwandten, zusammentraf oder auch nur mit anderem reisendem Volk. Einen sonderbaren Glauben der Bürstenleute habe ich noch im Gedächtnis. Erblickte man eine Bachstelze (wir nannten diesen hübschen beweglichen Vogel des Ostens „Wasserstelze“) auf dem Lagerplatz und wippte er dazu noch recht emsig mit dem koketten Schwänzchen, oder flog das zierliche Vögelchen unterwegs beim fahren um den „Rädleng“ (Wagen) her, so war jedermann der festen Überzeugung, an diesem Tag noch auf Bekannte zu stoßen, bestimmt aber auf anderes herumziehendes Volk.

War der Sommer und mit ihm die schöne Jahreszeit vorbei, der Herbst herangekommen, trieb es die Lützenhardter wieder in die Heimat zurück. Zeigten sich die ersten Herbstzeitlosen auf den kahlen Wiesen, war das gleichsam für den fahrenden Bürstenbinder die Mahnung der Natur, dass es Zeit sei, baldigst die Heimreise ins Winterquartier anzutreten. Wenn der Geschäftsgang den Sommer durch flau gewesen war und somit für den Winter nicht viel auf die Seite gebracht war, konnte man den sorgenvollen Lützenhardter Seufzer auf „Jenisch“ hören: „O spann Model, die Schure und nobes kei Bich!“ (O, sieh Frau, die Blumen und noch kein Geld!“) Zu Hause kamen indessen fast jeden Tag die Bürstenleute mit ihrem Bürstenwägele angerückt- wie die Bienen, die in ihre Körbe zurückeilen, um sich daheim wieder einzunisten. Das war wieder eine Freude. Jetzt war man wieder an der warmen Stube froh! Und es gab zu erzählen und zu berichten, Heiteres und Schmerzliches. Das in Lützenhardt die Landwirtschaft keine Nummer spielt drückt dem Dorfe den Stempel des Eigentümlichen auf und mutet den Fremden eigentümlich an.

Während die umliegenden Ortschaften im Sommer ausgestorben scheinen und alle Leute mit Feldarbeiten vollauf in Anspruch genommen sind, herrscht hier reges Leben und Treiben. Bei schönem Wetter verlassen die Bewohner die dumpfen Stuben und schlagen ihre Werkstätten vor dem Hause, im Freien auf. Da werden Bürsten „kurze Ware“ (Schrupper, Kleider- und Wichsbürsten, Kartätschen = Pferdebürsten und Fassbürsten Wasch = Abreibbürsten) eingezogen. Dort ist man am Pechen der „langen Ware“ (Besen und Kehrwische). Einige sind beim „Ausrichten“ (kämmen) und „Stutzen“ der Ware; Oder beim Zurichten (Fertigmachen zum Einziehen in die Bürstenhölzer) der Borsten, Fiber und „Reiß“ (Wurzeln). Andere sind am „Aushecheln“ der Borsten und Rosshaare oder binden diese zu „Haarnudeln“ und in Büschel. Der Draht wird zum Einziehen auf den Knebel gewickelt usw.

Vereinzelt hört man noch das surren der Bohrmaschinen, wo durch Fußbetrieb die Löcher in die Bürstenhölzer gebohrt werden. Heute werden, wegen Mangel des dazu erforderlichen Buchenholzes, die Bürstenhölzer in der Hauptsache gleich aus der Fabrik oder von größeren Handelsfirmen bezogen. Ebenso alle übrigen Rohstoffe. Frauen und Mädchen sind meistenteils am „Bach „ unten- wie die Waldach kurz genannt wird beschäftigt, wo sie die Borsten waschen und reinigen. Oder sie sind beim „Haar putzen“(Hecheln der gewaschenen Borsten). Manche sieht man die fertige Ware verpacken und versandfertig machen, zum Nachschicken an die Familienangehörigen, welche längere Zeit auf der Reise bleiben. Niemand geht müßig, alles ist tätig und beschäftigt. Es wird im Tagelohn gearbeitet oder ins „Stuckwerken“ (Akkordarbeit) gegangen. Der größte Betrieb beschäftigt beispielsweise sechs Personen. Öfters hört man aus einer oder der anderen arbeitenden Gruppe ein frohes Lied erschallen oder es ertönt auch ein lustiges „jenisches“ Schelmenliedchen. Die Lützenhardter erfreuten sich früher keines sonderlichen Rufes, und noch das jetzige Geschlecht ist nicht gerade erbaut, wenn es an seine dunkle Abstammung erinnert wird. Das ist aber doch schon vielfach anders geworden.

Wie tapfer haben sich die Lützenhardter- bei denen es nicht einen einzigen „Reklamierten“ gab- im Weltkrieg gezeigt. „Furchtlos und Treu“ taten die Lützenhardter Bürstenmacher ihre Pflicht, als das Vaterland rief. Das beweist schon, dass das kleine Dorf, anteilmäßig gerechnet, die größten Verluste in Württemberg hatte. Das im Herbst 1926 bei der Dorfkirche aufgestellte Kriegerdenkmal – eine Zierde des Ortes – verzeichnet 37 Gefallene und Vermisste. Bei der damaligen Einwohnerzahl von 800 Seelen kommt also auf je 23 von ihnen ein Gefallener. Unter den Ausmarschierten waren alle Dienstgrade vertreten. Vom Unteroffizier bis zum Offizierstellvertreter. An jeder Front waren sie zu finden. Unter anderem befand sich auch einer in der Seeschlacht am Skagerrak. Die schneidigen Lützenhardter holten sich auch sämtliche Kriegsauszeichnungen einschließlich des Eisernen Kreuzes Erster Klasse.

Im Kriege 1870/71 stellten die „Hofemer“ ebenfalls schon ihren Mann. Anno 1812 im russischen Feldzug waren zwei Lützenhardter dabei. Einer davon, der „alte Benedikt“ (Benedikt Wittich) erreichte trotzdem das hohe Alter von 92 Jahren. Er brachte eine Russin mit in die Heimat, die er gleich darauf in Lützenhardt heiratete (unter Pfarrer Neubrandt). Der andere war der „starke Marr“ (Markus Pfaus), so genannt wegen seiner außergewöhnlichen kriegerischen Leistungen vor den Mauern von Moskau, wo er auch gefallen ist. Ebenso kämpften zwei Lützenhardter im sogenannten Bürgerkrieg der nordamerikanischen Staaten 1861-1865. Und zwar wieder ein Pfaus (er fiel auf einem Kriegsschiff) und einer Namens Dürr. Dieser machte jenen berühmten Zug des Uniongenerals Shermann nach der Seestadt Savannah mit, die im Dezember 1864 erobert wurde. Bei der Chinaexpedition 1902 waren sechs „Hofemer“. Einer davon ist damals gefallen.

Die Lützenhardter Hausierer oder die Hausierer überhaupt sind vom Schicksal zumeist in entlegene, rauhe und bodenarme Landstriche verschlagen worden, die jeder Voraussetzung nutzbringender Arbeit in Industrie und Landwirtschaft bar sind. Diese Zeilen möchten aber für Verständnis dafür sorgen, auf welche mühsame Art oft ein von urteilslosen Menschen verachteter Teil unserer Mitmenschen sich durchs Leben schlagen muss …..